Veganer und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) stehen bekanntlich auf Kriegsfuß, was die Empfehlungen zur Lebensmittelauswahl betrifft. So gehören für diese Fachgesellschaft Fleisch, Fisch, Eier und Milch durchaus zu einer ausgewogenen Ernährung. Für Veganer hingegen bekanntlich nicht.
Doch wie sieht eine vegane Ökotrophologin diese Empfehlungen? Schließlich sind sie doch Bestandteil des Studiums, oder?
Dieser Artikel ist nicht von Laura oder Jan, sondern von mir, Alina Moritz. Am Ende des Beitrags kannst du in der Autorenbox nachlesen, wer ich genau bin und was ich mache. Genau wie Laura und Jan habe ich Ökotrophologie studiert.
Vielleicht stellst du dir vor, dass man in diesem Studium einfach lernt was gesund ist und was nicht. Dem ist aber nicht so: Man lernt sehr viel Hintergrundwissen in allen möglichen Bereichen, wie BWL, Recht, Chemie, Biologie oder Physik. Das Ernährungswissen wurde an meiner Hochschule (Fulda) relativ allgemein gehalten, sodass man sich selbst ein Bild davon machen konnte was »gesund« ist und was nicht.
Dennoch musste ich in manchen Modulen schon nach den Richtlinien der DGE handeln. Z. B. in Diätetik und klinischer Ernährung, wenn wir Osteoporose-Patienten viele Milchprodukte empfehlen sollten oder Übergewichtigen nur fettarme Lebensmittel.
Hier siehst du die empfohlene Lebensmittelauswahl entsprechend dem DGE-Ernährungskreis (1):
Aus meinem zuvor gelerntem Hintergrundwissen im Studium, meinen persönlichen Erfahrungen was mir und meinen Klienten gut tut und meinem fast schon lebenslangen Weiterbilden und Recherchieren, habe ich mir ein eigenes Bild über den komplexen Themenbereich der menschlichen Ernährung gemacht.
Folgendes hab ich zu den einzelnen Empfehlungen der Lebensmittelgruppen zu sagen:
- Getränke: Ich finde die Empfehlung generell gut, da auch in der Erläuterung gesagt wird, dass Light-Getränke keine gute Alternative sind und auch Kaffee nicht zur Flüssigkeitsversorgung dienen sollte.
- Getreide: Es ist erfreulich, dass Pseudogetreide ebenfalls als Option erwähnt werden.
Was ich nicht gut finde ist, dass zu so viel Brot geraten wird. Es gibt mehrere Gründe, warum ich dies nicht wirklich empfehlen kann. So enthält Brot sehr viel Salz (die empfohlenen 5 Scheiben decken bereits ¾ des täglichen Maximums!). Zudem besteht Brot heutzutage nicht mehr nur aus Wasser, Mehl und Hefe, sondern kommt mit vielen Zusatzstoffen (z. B. Säureregulatoren, Emulgatoren) daher – auch das vermeintlich gesunde Vollkornbrot. Ein weiteres Problem sehe ich bei den Themen Acrylamid und AGEs*, welche in Backwaren in deutlich größeren Konzentrationen zu finden sind, als in gekochtem Getreide.
*AGEs = Advanced Glycation Endproducts entstehen wenn Proteine oder Fette mit Zucker reagieren. Temperaturen über 120 °C, sowie trockene Gartechniken begünstigen diesen Prozess. AGEs stehen im Verdacht für die Entstehung zahlreicher Zivilsationserkrankungen mitverantwortlich zu sein und ein schnelleres Altern zu fördern. - Gemüse: 3 Portionen (400 g) halte ich für zu wenig. Zwar erreichen die meisten Deutschen bei Weitem nicht mal diese Menge, allerdings wäre es wirklich förderlich für deren Gesundheit noch mehr Grünzeug zu futtern: Es konnte gezeigt werden, dass die effektivste Gesundheitswirkung (Krebsprävention, geringere Sterblichkeit uvm.) erst ab 800 g Obst und Gemüse eintritt. (2). Gemüse liefert die meisten Mikronährstoffe bezogen auf den Energiegehalt, was besonders den Magen Übergewichtiger Menschen auf perfekte Weise füllt.
- Milch(-produkte): Viel zu viel wird empfohlen! Rechnet man den Käse auch noch auf reine Milch um, kommt man auf ca. 600 g Milch! Die armen Kühe… Und selbst wenn man die Milch als Kalziumlieferanten betrachtet – diese Mengen braucht niemand, um seinen Bedarf an dem Mineralstoff zu decken. Zudem lauern in Milchprodukten, wie Joghurt oder Käse(-zubereitungen) auch einige »Ernährungsfallen« – sie enthalten oft viel Salz, Zucker und Zusatzstoffe und kommen immer in viel Plastik daher.
- Obst: Hier würde ich der Empfehlung von mindestens 250 g zustimmen, wenn gleichzeitig mindestens 750 g Gemüse gegessen werden. Erklärung: Obst liefert deutlich weniger Mikronährstoffe als Gemüse, viele Menschen vertragen zu viel Fruktose nicht und Obst ist meist nicht so vielfältig regional zu bekommen wie Gemüse. Außerdem ist es oft ziemlich mit Pestiziden belastet (sofern nicht bio).
- Fleisch/Fisch/Eier: Auch wenn mich viele Veganer vielleicht dafür hassen werden: Die von der DGE vorgeschlagenen Mengen an Fisch, Fleisch und Eier sind meiner Meinung nach vollkommen vertretbar. Sie sind zwar kein muss, aber wenn jeder Mensch lediglich diese Menge essen würde, bräuchte es keine Massentierhaltung mehr. Besser aus ethischer Sicht, wäre natürlich komplett ohne.
Aus gesundheitlicher Sicht kann diese Menge sogar Vorteile bringen: Gut verfügbares Eisen, Zink, Jod, Omega-3-Fettsäuren und B-Vitamine. Wo ich der DGE nicht zustimmen kann, ist die Option »Wurst«, da es sich bei dieser um ein stark verarbeitetes Produkt handelt.
Auch die »Angstmache« der DGE vor dem Cholesterin aus Eiern ist veraltet, da dieses nicht für schlechte Blutfettwerte sorgt.
Dass nur fettarme Fleischsorten verzehrt werden sollten, halte ich ebenso für einen schlechten Vorschlag. Erstens macht Fett nicht fett, zweitens haben besonders fettreichere Sorten mehr Mikronährstoffe und drittens wird so ein »Rauspicken« vermieden indem das Tier als Gesamtes verwendet wird , ohne dass Teile davon in der Mülltonne landen müssen. - Öle und Fette: Die Menge von insgesamt 35 g zusätzlichem Fett finde ich vertretbar. Ich würde es aber als Maximum ansetzen und vor allem stattdessen eher die Verwendung ganzer Nüsse/Ölfruchte empfehlen. Isolierte Speiseöle bieten nämlich außer reinem Fett so gut wie keine Mikronährstoffe und Ballaststoffe und sind zudem anfälliger für Oxidation, was gute Fette (z. B. Leinöl) schnell zu schlechten Transfetten werden lässt. Was die Empfehlung der DGE zu Margarine und möglichst Verzicht auf gesättigte Fettsäuren (z. B. Kokosöl) betrifft, kann ich überhaupt nicht zustimmen. So konnte es mittlerweile längst widerlegt werden, dass letztere schädlich sind und belegt werden, dass Margarine alles andere als gesund ist. Sie besteht zu einem hohen Anteil aus entzündungsfördernder Linolsäure, beinhaltet umweltschädliches Palmöl und wird mit Zusatzstoffen (z. B. Emulgatoren, Farbstoffen) versetzt.
Zwei der wichtigsten Lebensmittelgruppen vermisse ich als vegane Ökotrophologin leider gänzlich in den DGE-Empfehlungen:
- Hülsenfrüchte: Bohnen, Erbsen und Linsen sind extrem nährstoffreich (B-Vitamine, Mineralstoffe und Proteine) und könnten sowohl Getreide, als auch sämtliche tierische Produkte optimal ersetzen. Ich rate so viel wie möglich (bis zur Hälfte der täglichen Kalorienzufuhr), sofern man die kleinen Nährstoffbomben gut verträgt.
- Nüsse und Ölsamen: Mandeln, Leinsamen, Hanfsamen, Kürbiskerne, Walnüsse … – es gibt eine so große Auswahl mit ebenso vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten (Müsli, Soßen, Dips, Salat-Toppings usw.). Leider landet diese Lebensmittelgruppe sie viel zu selten auf den Tellern der Deutschen. Nüsse und Ölsamen bieten dieselben Vorteile wie die Hülsenfrüchte und zusätzlich gute Fettsäuren. Meine Empfehlung lautet: 30–100g täglich (gerne auch statt Speiseöle)
Was hältst du von den Empfehlungen der DGE? Schreib mir gerne deine Meinung. Ich bin gespannt.
Deine Alina
Quellen:
(1) DGE (2015): Der DGE-Ernährungskreis – Wegweiser für eine vollwertige Ernährung: http://www.dge-ernaehrungskreis.de/start/
(2) Aune et al. (2017): Fruit and vegetable intake and the risk of cardiovascular disease, total cancer and all-cause mortality—a systematic review and dose-response meta-analysis of prospective studies: https://academic.oup.com/ije/article/46/3/1029/3039477/Fruit-and-vegetable-intake-and-the-risk-of?searchresult=1
Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Gastartikel. Er spiegelt nicht zwingend unsere persönliche Meinung wider.
*Wir nutzen Affiliate-Links zu Amazon. Bei einem Kauf über diese Links kannst du unsere Arbeit ohne jegliche Mehrkosten unterstützen. Danke!
Jana
Sehr toller Artikel! Ich finde es sehr schade, dass die DGE noch immer nicht offiziell ein Statement veröffentlicht hat, in dem deutlich wird, dass eine gut geplante vegane Ernährung in allen Lebensphasen gesund und sicher ist.
Letztlich bin ich aber der Meinung, dass Veganismus eine ethische und keine gesundheitliche Bewegung ist. Deswegen finde ich es überhaupt nicht schlimm, wenn man Menschen Tierprodukte empfiehlt. Es geht dabei um Menge und Qualität. Dass manche Nährstoffe, in Tierprodukten besser verfügbar sind, ist ja wahr. Aber die Massen, die verzehrt werden, sind weder ethisch vertretbar noch gesund. Und es geht eben auch völlig ohne tierische Nöhrstoffe.
Jan Rein
Liebe Jana,
wenngleich der Artikel von Alina ist, will ich dir trotzdem kurz antworten. Ich sehe es so wie du: Für mich ist Veganismus eine ethisch motivierte Bewegung. Das ist sie für mich auch privat seit Mitte 2014, nachdem ich mich von den teilweise haarsträubenden Gesundheits-Utopien mancher Gurus gelöst habe. Die Massen, die viel zu viele Menschen in westlich geprägten Ländern (und zunehmend auch in Schwellenländern) essen, ist ethisch keinesfalls vertretbar – leider! Und ich bin wirklich sehr gespannt, wie es – vor allem in den Schwellenländern – weitergeht. Schließlich können »wir« den Menschen dort nicht mit erhobenem Zeigefinger entgegentreten und sagen: »Wir essen zwar so, als hätten wir 2 Planeten, das dürft ihr aber nicht.«
Es bleibt spannend.
Liebe Grüße
Jan
Jana
Lieber Jan,
danke für deine Antwort! Genau so sehe ich es auch. Es gibt nicht die EINE Art vegan zu leben. Und das ist gut so. Gerade weil ernährungswissenschaftliche Erkenntnisse extrem dynamisch und für Laien oder Halblaien wie mich sehr verwirrend sein können, finde ich es wichtig den Leuten Raum zu lassen. Das ist auch guter Aktivismus. Ich liebe Essen. Wenn man mir gesagt hätte, ich müsste von ungesalzenem braunen Reis, Bohnen und Grünkohl leben, um gesund zu sein, wäre ich keine Veganerin geworden. Aber veganes Essen kann sooo lecker und dekadent sein.
P.S. ich liebe Reis, Bohnen und Grünkohl. Aber ich wollte nur was verdeutlichen 😉
Jan Rein
Liebe Jana,
ich weiß noch, wie sicher ich mir war, dass vegane Ernährung per se das Gesündeste überhaupt sei, als ich mit dem Studium begann. Mit den Semestern bröckelte der Glaube und ich erkannte, wie komplex das Thema ist. Leider wird viel zu oft viel zu sehr verallgemeinert, zusammengefasst, falsch interpretiert und einfach nur an der Oberfläche gekratzt.
Deshalb haben wir uns gesagt: Wir wollen nicht missionieren. Wir wollen den Leuten, ein Grundverständnis an die Hand geben, damit sie lernen, sich selbstständig mit der Materie auseinanderzusetzen. Und für alle, die keine Zeit oder Lust dafür haben, schreiben wir kompakte Artikel über ein Thema und verlinken weiterführende Literatur.
Liebe Grüße
Jan
PS: Die Kombi klingt spannend. Wobei ich wohl nie ein Grünkohl-Fan werde 😉
Jana
Und eure Intention kommt auf jeden Fall über. Tolle Arbeit! Danke dafür! 🙂
Alina
Hallo liebe Jana,
vielen Dank für dein Lob an meinem Artikel. Das freut mich echt!
Genauso wie du und Jan sehe ich es auch (wie du ja an meinem Beitrag erkennst )
Ach ja und Jan: Ich komm übrigens auch nicht an frischen Grünkohl ran, aber die Tiefkühlvariante liebe ich. Kennst du die? Schmeckt wie Spinat. Oder Grünkohlchips…Köstlich!
Alles Liebe
Alina
Anonym
Leider sind dies einige falsche Informationen, und die junge Dame hat anscheinend inkorrekte Informationen im Studium vermittelt bekommen, oder schlichtweg schlecht recherchiert. Sie entsprechen nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft!
Eier und Kokosöl ERHÖHEN den Cholesterinspiegel STARK. Studien die das Gegenteil beweisen sind falsch aufgebaut:
1) “Baseline” Cholesterin ist bei jeder Person unterschiedlich
2) Führt man eine Studie durch und misst dann danach den Cholesterinspiegel aller Subjekte, kommt man auf kein eindeutiges Ergebnis – ergo das Produkt (Eier, Kokosöl oder Fleisch) erhöht nicht den Ch.spiegel –> FALSCH!
3) Denn was berücksichtigt werden muss ist Baseline und Erhöhung jeder einzelnen Person
4) Nur bei gesunden Personen mit niedrigem Ch. macht es Sinn eine solche Studie durchzuführen, denn je höher Ch. ist, umso langsamer steigt er an. Bei sehr ungesunden Menschen macht es kaum noch einen Unterschied ob sie ein Ei mehr essen!
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15172426 –> optimaler Ch. bei Menschen ist lediglich 50-70 mg/dl !!
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/313701 –> fehlerhafte Studien vermeiden
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/9001684 –> Eier erhöhen LDL Ch.
Außerdem sind Fleisch und Fisch für eine Menge chronischer Krankheiten verantwortlich. Das hier aufzulisten würde den Rahmen sprengen.
Dem Rest kann ich zustimmen, viel Obst und Gemüse, besser Nüsse als Speiseöle, etc.
Alina
Hallo,
ich kann dir nicht zustimmen:
1) Du schreibst: “optimaler Cholesterinwert liegt bei 50-70.” Hast du die von dir zitierte Studie gelesen? Da ist nur von LDL die Rede und nicht vom Gesamtcholesterinspiegel. Außerdem ging es in meinem Artikel überhaupt nicht um die Auswirkungen des Cholesterinspiegels (bzw. LDL oder HDL)
2) Die zweite von dir zitierte Studie ist vom Jahr 1979 und längst überholt: Gesättigte FS und Cholesterin aus der Nahrung erhöhen den Gesamt-Cholesterinspiegel nur leicht; bzw. erhöhen sie LDL und HDL leicht. Das ist ja das gute; denn die Ratio muss stimmen.
3) Ein hoher Cholesterinspiegel ist per se nicht schlecht; Cholesterin hat immerhin viele wichtige Aufgaben im Körper. Es wurde ja verteufelt, weil es früher hieß es würde das Risiko für koronare Herzerkrankungen erhöhen, aber das stimmt so nicht. Schuld dafür sind v.a. oxidierte LDL-Partikel, Transfettsäuren und schlechte Triglyceridwerte.
Besonders langkettige (Pflanzen)fette sind anfällig für Oxidation, wohingegen gesättigte FS sehr stabil sind. Und ja; langkettige FS können zwar den Cholesterinspiegel senken, aber nicht nur LDL, sondern auch das gute HDL; ergo keine bessere Ratio. Daher macht es Sinn, nicht nur die Schuld auf die gesättigten FS zu schieben, sondern auch auf oxidierte mehrfach ungesättigte FS.
Schlechte Triglyceridwerte entstehen übrigens nicht durch gesättigte FS oder Cholesterin, sondern durch schnell resorbierbare Kohlenhydrate und Alkohol. Gesättigte FS senken sogar die Triglyceridwerte!
Ich könnte viele Studien anführen aber nur mal eine ganz gute: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2824150/
Und hier ein Artikel auf meinem Blog zum Thema Cholesterin: https://nahrungsdschungel.com/2016/03/29/cholesterin-wie-schaedlich-ist-es-wirklich/
Liebe Grüße
Alina
Pauline
Wow! Was für ein toller, informativer und super ehrlicher Post! 🙂
Ich finde es sehr interessant mal eine Meinung von einer Veganerin zu dem Thema zu hören und finde es wirklich schön wie ehrlich auch zu Fleisch etc. geschrieben wird, schließlich geht es ja dabei lediglich um den gesundheitlichen Aspekt und nicht die ästhetische bzw. auch ökologische Sichtweise 🙂
Danke für die hilfreichen Tipps und ich merke, dass ich wirklich mehr Hülsenfrüchte essen sollte 😀 Daran werde ich
arbeiten!
Liebe Grüße
Pauline 🙂
http://www.mind-wanderer.com
Alina
Hallo liebe Pauline,
es freut mich total, dass dir mein Artikel so gut gefällt! Herzlichen Dank für dein Lob!
Und zu den Hülsenfrüchten: Überall langsam einbauen (z. B. im Salat, in deiner Pasta etc.). Dann wirds schnel zur Routine! 😉
Alles Liebe
Alina
Markus
DGE und Veganer
Hallo,
achja, die DGE! Immerhin hat die DGE ihre Empfehlungen letztlich etwas modifiziert, aber wer glaubt, dass die DGE unabsehbarer Zeit eine 180 Grad Wende macht, der glaubt auch, dass das Software-Update reicht, um die gesundheitsgefährdende Stickoxidbelastung in den Städten zu senken. (Die amerikanische Schwesterorganisation ist längst weiter und betont, dass eine Vegane Ernährung in ALLEN Lebenslagen möglich ist. Man muss nur ein paar Dinge beachten, dass sollten aber jeder, auch Mischköstler können Mangelsymptome aufweisen, ist sogar die Regel).
Dafür gibt es im wesentlichen zwei Gründe:
1) Mächtige Lobbyverbände (und zugleich Arbeitgeber für Ernährungswissenschaftler und Drittmittelgeber für Forscher) der Agrar- und Ernährungsindustrie.
2) Der ausschließlich reduktionistische Ansatz bei den meisten Forschern.
Beide zusammen bewirken nämlich, dass die beiden entscheidenden Elemente einer auf optimale (!) Gesundheit ausgerichtete Ernährung weder empfohlen und erst recht nicht praktiziert werden.
A) Die Nahrung sollte möglichst unverarbeitet sein.
B) Es sollte der größte Teil (mind. 90 %, besser 95 %) pflanzlichen Ursprungs sein.
Stattdessen streitet sich alle Welt um “Scheinfragen”:
– Ob Fleischesser oder Veganer gesünder leben? Beides kann im Extremfall tödlich sein; nur noch Fleisch überlebt kein Mensch ein Jahr, nur Kartoffeln essen dagegen schon; Junkfood/Pudding-Veganer leben extrem ungesund.
– Ob nun Kohlenhydrate oder Fette “böse” sind? Übergewicht entsteht aus einem Kalorienüberschuss. Ballaststoffe sind entscheidener als Kohlenhydrate. Gleichzeitig wird die schädliche Wirkung von tierischem Protein (Insulinspiegel steigernd und damit u. a. Insulinresistenz fördernd) fast gänzlich ignoriert.
– Wir starren auf Makro-, Mikronährstoffe, Spurenelemente und schlucken vorsorglich Unmengen zu meist synthetische hergestellter, isolierter Vitamin- und Mineralstoffe.
Da fragt man sich doch wie konnten unsere Vorfahren in den letzten 2 Millionen Jahren ohne alle diese (Fehl-)Information überleben??
Wenn man schaut, wie sich die gesündesten und langlebigsten Populationen ernähren (“Blue zones”), dann kommt man genau zu dem Schluss, den Colin Campbell (em. Prof. Cornell U) und seine Mitstreiter gezogen haben:
PBWF = Plant-based whole foods
Praktisch das gleiche hat auch schon Prof. Leitzmann (Uni Gießen) propagiert (nennt sich Vollwertkost).
Colin Champbell hat auch ein sehr empfehlenswertes Buch “Whole” geschrieben, in dem er erklärt, was bei einer ausschließlich reduktionistischen Sichtweise auf Ernährung falsch läuft. Als vielzitierter Autor in hochkarätigen Journals hat er selbst viele Experimente und kontrollierten Bedingungen durchgeführt und hält diese auch für zwingend notwendig. Bloß dieser Ansatz kann so ein komplexes System wie Ernährung und Gesundheit nicht lösen. (By the way: Solche Experimente zeigen übrigens, dass das wegen seiner besseren Verfügbarkeit so hochgelobte Häm-Eisen (Eisen in tierischen Produkten) sehr wahrscheinlich ein entscheidender Faktor für die schädliche Wirkung eines hohen Fleischkonsums ist (oxidative Wirkung)).
Wer gute Infos sucht:
YouTube nutritionfacts.org (viele neuere Videos auch mit deutschen Untertiteln) oder das dazugehörige Buch “How not to die” (auch die deutsche Ausgabe hat den Englischen Orginaltitel), beides von Dr. Michael Greger.
Ob jemand Tiere bzw. deren Milch/Eier isst, ist eine reine persönliche, ethische Entscheidung und damit genauso wie der Glaube oder Nichtglaube nicht zu kritisieren, sondern zu respektieren.
Lediglich hinsichtlich der Auswirkungen eines hohen Verzehrs tierischer Produkte auf den Klimawandel darf man m. E. zu Recht hinweisen, weil dies a) zu wenige wissen und b) primär Menschen in den ärmeren Ländern, aber letztlich jeder Mensch in den nächsten Jahrhunderten zu leiden haben wird.
Grüße
Markus
Alina
Hallo lieber Markus,
danke für deinen ausführlichen, informativen Beitrag.
Ich gebe dir bei dem meisten Recht und du bringst es echt gut auf den Punkt: Unverarbeitet ist der Schlüssel zur Gesundheit, aber wirtschaftliche Interessen wollen diesen Schlüssel “verstecken”.
Colin Campell und Michael Greger finde ich aber auch nicht optimal was ihre Empfehlungen betrifft. Auch sie forschen nur in die eine Richtung (ProVegan) und geben viele Studien falsch rüber oder picken sich nur bestimmte Sachen raus.
In diesen Videos wird es recht gut erklärt (Dr. Greger): https://www.youtube.com/watch?v=mbWZG3gcpkA und https://www.youtube.com/watch?v=Cx0MBKbdt5Q.
In meinem Buch “Kampf der Ernährungsformen” zeige ich übrigens auch die Fehlinterpretationen dieser Autoren auf. Das mit dem Hämeisen spreche ich dort auch an; es stimmt so was du sagst (oxidativ, karzinogen etc.), aber auch hier sollte man differenzieren: Hast du bereits volle Eisenspeicher wirkt dieses Hämeisen sicher schädlich, bei einer schlechten Eisenversorgung (was übrigens die meisten Frauen betrifft und Menschen in Entwicklungsländern) kann die gute Bioverfügbarkeit sehr wertvoll sein.
Liebe Grüße
Alina
Markus
Hallo liebe Alina,
vielen Dank für die Antwort. Grundsätzlich ist jede kritische Auseinandersetzung zu begrüßen, natürlich auch die mit Prof. Dr. Colin Campbell und Dr. Michael Greger. Letzterer berichtet übrigens nicht über seine Forschung, sondern sichtet in hochrangigen Journals erschienene Artikel, aber auch dass könnte natürlich einen Bias enthalten.
Beide propagieren aber keine vegane Ernährung, weswegen sich beide gegen deine Behauptung, sie seien ProVegan, wehren würden. Sondern beide ermutigen lediglich dazu so viel pflanzliche, möglichst unverarbeitete Produkte zu essen wie man es vermag. Ein geringer Fleischkonsum wird von beiden – obwohl in manchen Studien sogar dann schon negative Effekte gezeigt wurden – nicht als so gravierend gesundheitlich bedenklich eingestuft, dass sie bedingungslosen Verzicht für Alle propagieren. Denn je weiter man sich von der Standard American Diet (SAD) in ihre Richtung bewegt, desto größer wird der Nutzen. Schließlich sind von den zehn häufigsten Todesarten in den USA neun zumindest auch ernährungsbedingt, insbesondere durch die SAD (mit Donuts, Bacon, Fries and Softdrinks als symbolisch charakteristische Komponenten). Aber sie anerkennen das reale Leben und setzten Menschen nicht unter dem allseits verbreiteten Wahn oder Zwang sich perfekt ernähren zu müssen. Jeder soll so weit gehen wie sie/er es vermag.
Ich habe mir die Videos von Daniel Pugge angeschaut. Diese überzeugen mich nicht und ich kann diese Art der Darstellung hier nicht unkommentiert stehen lassen.
Was soll ich denn davon halten, dass Daniel Pugge Dr. Greger der Lüge bezichtigt und als “Beweis” hochselektive Ausschnitte aus dem Interview mit Dr. Greger zeigt und damit den Inhalt des ganzen Videos (https://youtu.be/es4PFR5GZTY) auf den Kopf stellt?
Dr. Greger stellt alle seine Ergebnisse auf seiner Seite kostenlos zur Verfügung, inkl. Links zu den von ihm zitierten Studien, damit man seine Aussagen selbst prüfen kann. Jetzt hat er nach all den Jahren tatsächlich auch ein Buch geschrieben und Daniel Pugge “vergisst” den Teil im Interview, in dem Dr. Greger erwähnt, dass er die Erlöse des Buches spendet (“for charity”). Wahrscheinlich weil Herr Pugge dies mit seinen Erlösen nicht macht, sondern davon lebt. Aber Schwamm drüber.
Gerdezu skandalös ist die selektive Darstellung der Ergebnisse der von Dr. Greger im Interview zitierten Studie: In der Studie (http://m.ajcn.nutrition.org/content/66/5/1264.abstract) wurde die Portionsgröße der untersuchten Lebensmitteln auf 1000 kJ standardisiert. Das macht man, damit man vergleichbare Messgrößen erhält. Für die reale Ernährung sind der Vergleich von Portionsgrößen zu 100 g aber die viel realistischere Größe, weil dass Sättigungsgefühl deutlich stärker mit dem Gewicht, dem Volumen und der Zeit zum Verzehr positiv korreliert als mit dem Energiegehalt (Kalorien oder kJ) ist. Wenn man dies berücksicht, dann stimmt die Aussage von Dr. Greger sehr wohl. Und das ist in der von Daniel Pugge gezeigten Tabelle auch zu erkennen, bloß in einer anderen Spalte. Wenn man sich jedoch den ganzen besagten Artikel anschaut, fällt auf, dass die Tabelle 4 des Artikels von Daniel Pugge nicht erwähnt wird. Warum? Weil die Studie untersuchen wollte, ob der Glykämischen Index (GI) gut mit dem Insulin Index übereinstimmt. Denn angeblich verursachen kohlenhydratreiche Lebensmittel (und nur die “bösen” Kohlenhydrate) Insulinresitenz und vermindert Insulinsekretion und damit letztendlich Diabetes. Aber wie kann Fleich dann zu einem Insulinanstieg führen? Als kohlenhydratfreies Lebensmittel beeinflusst es nicht den Blutzuckerspiegel, was sich im GI widerspiegelt.
Sind das nur unterschiedliche Interpretationen des gleichen Artikels?
Nein, denn was sagen die Autoren (http://m.ajcn.nutrition.org/content/66/5/1264.abstract) selbst: “Although some of the protein-rich foods may normally be eaten in smaller quantities, fish, beef, cheese, and eggs still had larger insulin responses per gram than did many of the foods consisting predominantly of carbohydrate.” [Wer einen Volltextzugriff hat wird erkennen, dass dies nicht die einzige Passage ist, die die Interpretation von Dr. Greger stützt. Leider kann ich hier aus lizenzrechtlichen Gründen nicht mehr zitieren.]
Das von Dir genannte zweite Video disqualifiziert sich m. E. ebenso; nur die ersten beiden Artikel als Beispiel: Dass Dr. Greger in den relevanten Video einen Artikel aus 1934 zitiert hat u. a. sicher damit zu tun, dass man solche Experimente mit Ratten (komplette Energiezufuhr über pures Öl) inzwischen aus Tierschutzgründen (zum Glück!) auch nicht mehr macht. Das disqualifiziert aber alte Forschungsergebnisse nicht per se.
Das Daniel Pugge dann die Lipidinjektionen als “was hat das mit realer Ernährung zu tun” brandmarkt, zeigt sehr deutlich, dass er nicht weiß (oder es weiß und es absichtlich nicht beachtet; was noch schlimmer wäre), wozu man welches Studiendesign benutzen muss, um eine zuvor exakt definierte Frage zu beantworten.
Natürlich muss nicht jeder die methodischen Unterschiede und deren deswegen spezifisch beschränkten Aussagekraft und deren Übertragbarkeit von tierexperimentellen Studien, Studien über Wirkungsmechanismen bzw. einzelnen Substanzen, Fallstudien, doppelt-verblindeteten Interventionsstudien und epidemiologischen Studien kennen und verinnerlicht haben. Aber wenn dass nicht der Fall ist, dann sollte man lieber nicht solche abstrusen Videos (Links s.o.) produzieren wie es Daniel Pugge getan hat. Sorry für das harte Urteil.
Aber wir zwei werden uns vermutlich diesbezüglich nicht einig werden und müssen es auch gar nicht. Aber mir war es wichtig, dass andere, die unsere Diskussion hier verfolgen und die sich die von Dir genannten Videos anschauen, es zumindest so machen wie ich es auch getan habe: Schaut Euch die zitierten Quellen selbst an (keine Quellenangaben oder ohne direkte Links zum Abstract => ganz schlechtes Zeichen) und bildet Euch eine eigene Meinung!
Grüße
Markus
Alina
Hallo lieber Markus,
vielen Dank für deinen weiteren qualtitativen Kommentar und dass du dich so mit dieser Thematik auseinander setzt, Finde ich enorm wichtig: Immer selbst recherchieren bevor man anderen alles glaubt.
Ich weiß; Daniel Pugge macht auch oft Cherry Picking, da er ja eine ketogene Ernährung propagiert, aber in vielen Punkten gebe ich ihm auch recht, dass eben die genannten Autoren dies teilweise auch machen. Letztlich kann man einfach nur festhalten: “Transfette, isolierte Zucker, Zusatzstoffe und Überernährung vermeiden. Ob jetzt mehr Carbs oder mehr Fett, ob mehr (hochwertige) tierische Produkte oder weniger; das ist reine Glaubenssache.
Alles Liebe
Alina
Alina
Hallo Markus,
guck mal: Daniel hat auf deine Ausführungen geantwortet: https://www.youtube.com/watch?v=qMfv5bnaxwE&t=3s
LG Alina
Anja
Auch wenn es ein Gastartikel ist, muss ich meinen Kommentar dalassen und die Blogbetreiber in mein Lob einbeziehen. Ich bin Allesesser. Treibe mich aber gerne auf vegan-Seiten herum – noch dazu, wenn der Ansatz endlich mal wissenschaftlich und nicht dogmatisch ist. Warum? Ich liebe pflanzliche Kost. Ich liebe kochen. Und hoffentlich liebe ich bald auch wieder essen. Ich renne immer noch durch ein WirrWarr aus Unverträglichkeiten. Nichts halbes – Nichts ganzes. Offiziell bin ich allergielos und kerngesund – und trotzdem kämpfe ich immer noch, endlich so zu essen dass ich nicht immer suchen muss wo die nächste Toilette ist. Auch als Allesesser bin ich nicht hundertprozentig DGE-addicted. Ich habe alles klassischen Getreide aus der Ernährung gestrichen. Gemüse tuts weitesgehend auch. Pseudogetreide liefern den Rest. Bin ich mal froh, dass auch eine/drei Ökotrophologen der Meinung sind, dass DGE nicht der Weisheit letzter Schluss sind. Ich bin über den SatteSache-Podcast hieher gestolpert. Vielleicht finde ich mit den vielen tollen Tips und Gedankenansätzen auch irgendwann die Lösung für mich. Auch wenn ich durch bewussten Einkauf lieber ein komplettes Biohof-Konzept unterstütze als den veganen Weg einzuschlagen, fühle ich mich hier endlich mal gut aufgehoben ohne als Mörder beschimpft zu werden. Vielen Dank dafür.
Jan Rein
Danke für deinen lieben Kommentar! Und schön, dass du über Lauras Podcast auf unseren Blog aufmerksam wurdest.
Alina Moritz
Hallo Anja,
danke für das Lob an meinem Gastartikel. Genauso wie deine Einstellung ist, würde ich mir ein friedlicheres Zusammenleben von Allesessern und Veganern vorstellen.
Ich wünsche dir alles gute für die Zukunft. Bestimmt findest auch du irgendwann die Lösung für deine Probleme.
Liebe Grüße,
Alina